Da der Notbetrieb der Universitäten und Hochschulen bei andauerndem Infektionsgeschehen weiter durchgeführt werden muss, fordert der ddb Bund Länder und forschungsfördernde Institutionen und auch die Hochschulen auf, gemeinsam Rahmenbedingungen zu entwickeln, um die Corona-bedingten Einschränkungen zu bewältigen und auf die Zeit nach der Krise vorbereitet zu sein.
Die Forderungen im Einzelnen:
- Hochschulorganisation
- Das Zusammenwirken von allen Mitgliedern der Universitäten und Hochschulen ist zu stärken, um für Krisen besser gerüstet zu sein.
- Studierende, Lehrende, Mitarbeiter*innen und Leitungsgremien bringen unterschiedliche Sichtweisen und Erfahrungen ein. Die Krise kann nur in Zusammenarbeit bewältigt werden.
- Die Selbstverwaltungsgremien sind deshalb zu stärken, häufiger zu informieren und zu beteiligen, und die deutlich erschwerte Kommunikation unter Corona-Maßnahmen ist durch digitale Hilfsmittel (Telefonkonferenzen, Videokonferenzen, vermehrte kurze Sitzungstermine) zu verbessern.
- Die Hochschulautonomie hat dafür gesorgt, dass vor Ort passgenau und sehr schnell reagiert wurde. Sie hat sich bewährt und sollte unter Stärkung der Vertretergremien ausgebaut werden.
- Lehre
- Der Regelfall soll die Präsenzlehre sein. Sie bietet bei freier Methodenwahl der Dozent*innen die beste Möglichkeit, Inhalte und Kompetenz zu erwerben. Hygienekonzepte sind erarbeitet und bewährt. Die Rückkehr zur Präsenzlehre sollte über hybride Formen der Hochschullehre zeitnah vorangetrieben werden. Dazu können in den Hochschulen unterschiedliche Formen des Lockdowns und mögliche Öffnungen auf der Grundlage hochschulübergreifender Standards entwickelt werden.
- Die Präsenzlehre wurde aber an fast allen Hochschulen eingestellt. Ein wesentlicher Grund lag an fehlenden Räumen, die die Umsetzung der Hygienekonzepte ermöglicht hätten. Die Raumknappheit der Hochschulen war nach dem starken Anstieg der Studierendenzahlen schon vor COVID-19 bekannt. Corona hat diesen Mangel verdeutlicht. Abhilfe tut not!
- Präsenzlehre ist insbesondere für Studienanfänger wesentlich. Von der Pflichtlehre an Schulen treten sie in ein System der erkenntnisgetriebenen Wissenschaft ein, die auf intrinsisch motiviertes selbstständiges Lernen mit wenigen Pflichtveranstaltungen setzt. Die erforderliche Motivation müssen die Dozent*innen vorleben – am besten in Präsenz. Die im Schulbereich breit diskutierten sozialen Folgen fehlenden Präsenzunterrichtes treten an den Hochschulen sicher in ähnlicher Form auch auf. Präsenzlehre ist daher insbesondere für Studienanfänger*innen prioritär anzubieten.
- Besonders bei angewandten Wissenschaften können Laborpraktika nur unter strengen Hygienekonzepten in sehr kleinen Gruppen oder gar nicht durchgeführt werden. Das ist bei angewandten Wissenschaften inakzeptabel. Der Beschäftigtenkreis unterhalb der Professur muss soweit ausgebaut werden, dass praktische Übungen und Arbeiten im Labor notfalls auch in kleinen Gruppen möglich sind.
- Eine gute Fernlehre mit individueller Betreuung ist arbeitsintensiv. Digitale Lehre erfordert andere didaktische Konzepte, die erarbeitet werden müssen. In den Besoldungsverordnungen einiger Länder gibt es immer noch formal die Möglichkeit, Fernlehre als Sparprogramm zu nutzen. Deputatsanrechnung für Fernlehre kann niedriger als für Präsenzlehre angesetzt werden. Hier wird davon ausgegangen, dass Online-Lehrveranstaltungen einmal ins Netz gestellt werden und dann jahrelang unverändert abgerufen werden können. Das ist eine Fehleinschätzung und behindert die Entwicklung guter Fernlehre. Besser sollten Anreize für gute digitale Fernlehre geschaffen werden.
- Prüfungen
Eine besondere Herausforderung unter COVID-19-Maßnahmen stellen Prüfungen an den Hochschulen dar. Das Vorgehen ist sehr unterschiedlich. Einige Hochschulen mieten große Räume an, um Präsenzprüfungen unter den vorgegebenen Hygieneregeln abzuhalten. Andere Hochschulen haben diese Möglichkeit nicht und sind auf Fernprüfungen angewiesen. Die Rechtslage dazu ist unklar, eine sichere Prüfung auf Täuschungsversuche ist nicht möglich. Auch die von außerhalb der Hochschulen geforderte Umstellung auf andere Prüfungsformen ist nur mit zeitaufwändigen Änderungen der Prüfungsordnungen und teils langen Karenzzeiten möglich.
Der vhw fordert daher die Bundesländer dringend auf, möglichst rasch die rechtlichen Grundlagen für den rechtssicheren Einsatz von Online-Prüfungen oder anderen Alternativen zu Präsenzprüfungen zu schaffen.
- Forschung
Die Forschung an den Hochschulen konnte im Vergleich mit anderen Bereichen der Gesellschaft unter COVID-19-Bedingungen relativ gut fortgesetzt werden. In einigen Fachgebieten mussten allerdings auch Forschungstätigkeiten unter- oder abgebrochen werden. Besonders betroffen sind diejenigen, die aufgrund der Schließung von Archiven im In- und Ausland oder des Rückzugs aus dem Ausland derzeit darin beeinträchtigt sind, ihre Arbeiten fortzuführen. In anderen Fächern erfolgten Arbeitsverlagerungen vom Labor ins Homeoffice.
Die negativen Folgen werden erst nach COVID-19 sichtbar werden:
- Die Finanzierung der Forschung gerät durch krisenbedingte Mehrkosten und Einnahmeausfälle unter Druck, da die Mehrzahl der Wissenschaftler*innen befristet drittmittelfinanziert ist. Um Härten für solche Wissenschaftler*innen zu vermeiden, ist die Kompensation von Einnahmeausfällen zur Sicherung von Projekterfolgen dringend erforderlich.
- Internationale Kooperationen können wegen der Reisebeschränkungen derzeit schlecht koordiniert werden. Nach COVID-19 ist hier eine Anschubfinanzierung sinnvoll, um die internationalen Kooperationserfolge zu sichern.
- Vor allem an den technischen Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften wird bereits jetzt festgestellt, dass geplante Forschungsprojekte mit der Industrie auf Eis gelegt und Förderphasen ersatzlos gestrichen werden. Während außeruniversitäre Forschungsorganisationen Ersatzmittel aus dem Corona-Zukunftspaket erhalten, wenn ihnen die Mittel aus der Wirtschaft wegbrechen, sind die Universitäten und Hochschulen, die ebenfalls anwendungsorientierte Forschung mit Unternehmen betreiben, hiervon ausgeschlossen. Dieser Fonds muss auf die Universitäten und Hochschulen ausgeweitet werden.
- Wissenschaftlicher Nachwuchs
Besonders betroffen durch die pandemiebedingten Einschränkungen ist an den Universitäten der wissenschaftliche Nachwuchs. Durch das notwendige verstärkte Engagement in der Lehre, Einschränkungen in der Forschung, Übernahme zusätzlicher familiärer Betreuungsaufgaben verlängern sich zwangsläufig die Qualifizierungszeiten. Dies ist für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrer frühen Karrierephase besonders nachteilig. Der dbb begrüßt ausdrücklich die Verlängerung der zulässigen Höchstbefristungsdauer im Wissenschaftszeitvertragsgesetz, die vom vhw angestoßen worden war. Auch die von der DFG ermöglichte Verlängerung von Vertragslaufzeiten für Doktorandinnen und Doktoranden im Rahmen der Graduiertenkollegförderung ist ein wichtiger Schritt, um die Nachteile in der frühen Karrierephase auszugleichen. An den Hochschulen fallen erhöhte Personal- und Sachkosten an, die nicht durch Drittmittel kompensiert werden. Dieser Mehrbedarf muss kompensiert werden, um Karrierebrüche und Verlust von Forschungskompetenz zu verhindern.
- Digitale Infrastruktur
Im Frühjahr und im Herbst 2020 stellten die Universitäten und Hochschulen teilweise in wenigen Tagen von Präsenzlehre auf Fernlehre, fast ausschließlich digital basiert, um. Auch das Sommersemester 2021 wird voraussichtlich in den meisten Lehrveranstaltungen digital basiert ablaufen. Diese Umstellung hat Möglichkeiten, Grenzen, aber vor allem Schwachstellen der digitalen Infrastruktur aufgezeigt. Die Landesregierungen mögen im Dialog mit den Universitäten und Hochschulen für folgende Ausstattung sorgen:
- dienstliche Endgeräte für Dozent*innen mit der Ausstattung für Weblehre auch für das Homeoffice,
- Ausbau der digitalen Lehrplattformen für multimediale Lehre auf den stark gestiegenen Bedarf; Berücksichtigung des komplexen Lernprozesses mit Unterricht, Exzerpt, Repetition, Übung, Anwendung, Kompetenzerwerb, Selbstkontrolle und Prüfung,
- professionelle Hilfe bei datenschutzrechtlichen Aspekten der digitalen Fernlehre,
- Stärkung der IT-Struktur an Universitäten und Hochschulen,
- professionelle Unterstützung bei der technischen Umsetzung der digitalen Fernlehre (Videostudio mit Personal, Urheber-Rechtsprüfung etc.).
Nach den gesammelten Erfahrungen ist mindestens genauso dringend die digitale Infrastruktur der Studierenden. Dazu gehört
- Ausbau der Web-Netze an den allgemein gestiegenen Bedarf,
- Leihgeräte oder Beschaffungszuschüsse für angemessene Endgeräte für finanzschwache Studierende,
- Anpassung der BAföG-Sätze an den erhöhten Bedarf durch Online-Fernlehre,
- Verlängerung der Überbrückungshilfen für in Not geratene Studierende bis Ende 2021.
- Qualitätssicherung (der Universitäten und Hochschulen)
- Lehrende und Lernende brauchen Kompetenzen für das Lernen in einer digitalen Welt. Es bedarf didaktischer und technischer Fortbildung. Schon jetzt werden die vorhandenen Fortbildungsangebote nicht vollständig genutzt, weil entweder die Lehrpflichten leiden oder keine Anreize z. B. als Deputatsanrechnung für Fortbildungen existieren.
- Gerade bei neuberufenen Professor*innen wäre eine angemessene Entlastung für den Aufbau neuer Veranstaltungen und Fortbildung wichtig. Diese Möglichkeit gibt es nur sehr begrenzt.
- Die Findung von professoralem Nachwuchs wird in vielen Disziplinen zunehmend schwieriger. In angewandten Wissenschaften ist Kompetenz aus Tätigkeiten außerhalb der Universitäten und Hochschulen zwingend. Die Vergütung in der Industrie ist aber deutlich besser als die Besoldung an den Hochschulen, weshalb Professuren nicht sehr attraktiv sind. Bei den derzeitigen Zusatzaufgaben aus COVID-19-Gründen wird diese Attraktivität absehbar nochmals sinken. Die Politik sollte deshalb prüfen, ob bei einer Berufung von außerhalb der Hochschulen eine Besoldung auf Stufe W2 (ohne Zulagen) angemessen ist. Aber auch die Zulagenvergabe ist in einigen Bundesländern weder transparent noch über Jahre stabil. Bei Berufungen an Universitäten und Hochschulen sollten eine angemessene Besoldung und klare Zulagen-Perspektiven vorhanden sein. Der vhw unterstützt deshalb die Forderung nach einen einheitlichen Professorenamt mit der Grundbesoldung W 3. Nur dann werden sich die Hochschulen auch zukünftig im Wettbewerb um hervorragende Wissenschaftler*innen behaupten können.